Lebenszeichen aus Leipzig

Ironie des Schicksals: Am Tag der Absage der Buchmesse erreicht mich ein Brief von Sascha Kokot aus Leipzig, der mir sein Heft was wir waren schickt: 15 Gedichte, hellgrau auf weiß gesetzt, minimal gestaltet, und ein Gruß „bis bald zur Messe in Leipzig“.

Aber zum Glück sind Gedichtbände nicht an tagesaktuelle Ereignisse gebunden. Über Sascha Kokots Gedichte habe ich zuletzt anlässlich der Veröffentlichung seines Debütbands Rodung im Jahr 2013 in der Edition Azur geschrieben, ebendort erschien 2017 auch sein zweiter Band Ferner. Beide sind, jenseits der verlagsbranchenüblichen Neuerscheinungszyklen, nach wie vor sehr lesens- und empfehlenswert.

Was ich an Sascha Kokots Gedichten mag, und was auch dieses neue, als Off-Projekt von dem Hamburger Kurator Carl-Walter Kottnik in einer kleinen, handnummerierten Auflage herausgegebene und von der Künstlerin Ajete Elezaj gestaltete Heft ausmacht, ist die Knappheit, die Reduktion auf das Wesentliche, aus der dann das Besondere hervorsticht:

die Autos schlingern
den Schnee aus der Kurve
heute Morgen fiel
in schweren Flocken
die Stille herab
hielt den Tag an
breitete ein Licht aus
in dem noch jede Spur fehlte

Da kommt es dann gar nicht mehr so sehr darauf an, ob es eine Autofahrt, ein Blick aus dem Fenster, ein Huster im Treppenhaus oder, immer wieder, als Leitmotiv, die eigene Katze ist, der sich das Gedicht zuwendet. Das „klare Weiß“, wie es an einer anderen Stelle heißt, die kurzen Augenblicke der Ruhe und des Innehaltens sind es, die es Sascha Kokot schafft, mit einem feinen Sensorium einzufangen.

Hervorzuheben ist noch das Rätselhafte, das Sascha Kokots Gedichte seit seinem zweiten Band durchzieht, in dem etwa unvermittelt im Untergrund lebende Löwen auftauchten. Seine Entsprechung findet es hier gleich im ersten Gedicht des Hefts, das wie eine Urlaubspostkarte anfängt („sind gut angekommen“), aber dann lediglich eine Autofahrt durch den Schnee beschreibt und dann mit einem schnöden „schön ist es hier“ abbricht – aber ist das nicht auch die Hauptsache?

was wir waren von Sascha Kokot ist nicht im Handel erhältlich, kann aber über mail@saschakokot.de direkt bei ihm angefragt werden; die beiden Bände Rodung und Ferner sind nach wie vor in der Edition Azur lieferbar.