SOUVERÄNITÄT AM ARSCH

Einmal im Jahr geben die Studierenden des Studiengangs für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus der Universität Hildesheim eine Anthologie unter dem Titel Landpartie heraus. In diesem Jahr wurde Maren Kames, eine Absolventin des Studiengangs, gebeten, ein Vorwort zu schreiben. Entgegen der Absicht der Herausgeber konnte der Text nicht wie geplant erscheinen. Daher soll er an dieser Stelle dokumentiert und zugänglich gemacht werden. Ein Grundsatztext über das Schreiben, Schreibschulen, was man in Schreibschulen lernt – und was nicht.

 

SOUVERÄNITÄT AM ARSCH

 

Der Dirk, der Dirk der Dirk der Dirk, der hat so viel erlebt!
Der sollte schreiben.

Rainald Grebe

 

Es werden Angeber nie gute Texte schreiben.

Ich habe noch nicht mal jemals verstanden, wie einer vollends überzeugt und vorsätzlich Autor werden wollen kann. Ich weiß im Schreiben überhaupt nichts, ich muss ständig immer alles von vorne herausfinden. Oft findet sich nichts. Oder es bricht wieder weg, usw.

Ich habe in Hildesheim übers Schreiben nichts gelernt.
Was in Hildesheim funktioniert, ist sich für einen überschaubaren, also erträglichen Zeitraum Zuständen auszusetzen, modellmäßig und auf Probe, die so ein zukünftiges Autorenleben fingieren, und eine Ahnung dazu zu entwickeln, ob man das aushält.

Was außer dem vielleicht herauskommt, ist ein im Kollektivgehuddel fanatischer Textbeschäftigung und bekloppt hingebungsvoller Zettelwirtschaft herausgebildetes Sensorium für Textqualität oder deren Abwesenheit. Wir haben das Shit Detector genannt. Der wird in Hildesheim schon zu einem überdimensionierten Muskel hochtrainiert. Trotzdem liegt es in der Natur dieses Sensoriums, dass es instabil, nervös und offen ist. Muss es bleiben, bitte, sonst geht’s kaputt. Jenseits von Sensorium und Ahnung ist mit nachweisbaren Serviceleistungen seitens der Schule nicht zu rechnen.

(Nichts vom Bisherigen spricht gegen die Schule.)

Ich habe außerhalb der Schule einen Mann getroffen, dem ernsthaft diese Story von den acht bis zehn Romanideen in der Schublade aus seinem Mund gepladdert ist. Nachgeschossen eine perfide Mischkalkulation zur Unterteilung dieser acht bis zehn Ideen in marktgängige, bekömmliche, die sich schnell runter schreiben und gut verkaufen, sowie einige ambitionierte, wagemutige, bahnbrechende, die richtig Schweiß brauchen und ihm den Ruf als ernstzunehmender Autor, literarisches Spitzenbrain oder was sichern. Dahinter der Ausruf, es müsse halt nur mal einer her, der’s druckt, in der Sache hätte er, der Mann, aber also und insofern jetzt schon ausgesorgt.

Alter. Ausgesorgt.

Ich freue mich jedes Mal wie ein Biest, wenn der Mann nölt, er habe sich schon wieder im Vorstadium seines ersten Hauptwerks verheddert. (Ich nenne ihn der Dirk.)

Wenn ich sage, ich wisse nichts im Schreiben, es finde sich oft Nichts und selten Stabiles, meine ich das nicht weinerlich, sondern nüchtern. Ehrlich, im besten Fall menschlich. Der Natur der Sache zugehörig. Ich hab das gelernt, dass es nicht sicher ist. Ich versuche, es auszuhalten, auch das immer wieder von vorne. Ich wollte unter keinen Umständen pädagogisch werden, es gelingt mir nicht, ich werde es jetzt werden:

Werdet niemals großkotzig, nicht im Schreiben. Kultiviert eure Neurosen, Befindlichkeiten, Sperenzchen. Aber werdet nicht affig. Bitte so wenig wie möglich Posen. Brecht lieber zusammen. Text ist ein Ort, an dem das geht, ohne gefeuert zu werden. Seid zärtlich, zweifelt. Hildesheim ist im besten Fall ein Antisouveränitätsbootcamp, eine Arschlochverhinderungsanstalt. Bleibt redlich.

Hier noch was Fröhliches.

Herzlich,
Kames

Maren Kames wurde 1984 in Überlingen am Bodensee geboren. Ihr Debüt Halb Taube halb Pfau ist im September 2016 im Secession Verlag für Literatur erschienen.

Die Landpartie 2017 ist in der Edition Pächterhaus erschienen.

13 Kommentare zu „SOUVERÄNITÄT AM ARSCH

  1. Schöner Text. Runde Sache. Man bekommt einen Eindruck. Lieblingswort: Kollektivgehuddel
    Auch was gelernt: Es heißt Sperenzchen und nicht Spirenzchen, so wie ich es immer höre.
    Viel Spaß beim Studieren dort. Ich hatte mich in Leipzig beworben, bekam aber leider keinen Studienplatz. Also alleine weiter. Mit Schreiben aufhören geht ja nicht.

  2. Hier steht ein Text. Dieser Text steht beispielhaft hier. Und obwohl er hier steht und es auch behauptet – er sagt: Ich bin ein Ort -, ist er kein Ort, obwohl natürlich ein Ort auch ein Hier hat.
    Was immer der, der einen Text schreibt auch tut, empfindet, bedauert, überlegt … er kann in dem Text und mit ihm nichts anderes hervorbringen, als eine Buchstabenkombination, die vielleicht, jedenfalls wenn er es darauf anlegt und er also in bekannter Konvention reiht, ein Leser oder eine Leserin auch so versteht, oder wenigsten in etwa so, wie es der sich wünscht, der die Kombination vorgenommen hat um davon zu berichten, wie es den Dingen, der Figur, den Völkern, den Tieren, in dem Text geht, wie die Umstände sind, wann die Bahn fährt, wie man Hühnersuppe kocht oder eine Gleichung löst.
    Aber nie, niemals, wird der, der den Text schreibt, also die Buchstaben kombiniert, anders in dem Text zutage treten, denn als Figur, nie wird eine Bahn fahren, nie wird es eine wirkliche Empfindung in dem Text geben und nie wird der Text eine Hühnersuppe zubereiten.
    Denn der Text ist kein Ort, kein Leben ist in ihm, er behauptet es nur, er ist nichts als eine Menge Zeichen, die manche verstehen und die sich vielleicht zu Wörtern ballen, welche sich vielleicht zu Sätzen formen, die von irgendetwas Auskunft geben, was der, der diese Zeichen, Wörter, Sätze geschrieben hat zum Ausdruck bringen wollte. Mehr nicht. Mehr nicht. Nie. Jeder Text ist wie das Bild von Magritte, das eine Tabakspfeife zeigt.

  3. Ich habe Maren Kames in Stuttgart gesehen, im Literaturhaus bei der Vorstellung ihres Buches. Ich glaube, Frau Kames ist eine Schriftstellerin/Dichterin.
    Warum ich das glaube? Wegen dem Satz: „Ich habe noch nicht mal jemals verstanden, wie einer vollends überzeugt und vorsätzlich Autor werden wollen kann“.
    Ich denke, Schreiben ist ein schwerer Beruf, und es wird nicht leichter mit der Zeit.
    Ich wünsche ihr alles Gute.

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