Literaturblogs are broken

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Kindle Paperwhite Broken Screen Damage (Quelle: YouTube)

Drei schnelle Thesen darüber, was in Literaturblogs momentan falsch läuft.

Literaturblogs boomen. Aber was können sie wirklich? Diese – durchaus auch als selbstkritisch zu verstehenden – Thesen sollen die Aufmerksamkeit auf Problematiken, die gerade bei Blogs zu beobachten sind, lenken und zur Diskussion anregen: Über fehlende Distanz, Gefallsucht und Harmlosigkeit aus Prinzip.

1. Literaturblogs fehlt es an Distanz. Zum einen zum Gegenstand der Besprechung: Blogger werden als marketingrelevantes Instrument erkannt, bekommen – wie es bereits Praxis bei zahlreichen Verlagen ist – eigene, vorausgewählte Kontingente an Rezensionsexemplaren zugeteilt – und rezensieren so de facto für den Verlag. Zum anderen zum Auftraggeber: Blogger rezensieren (kostenlos!) im Auftrag, z.B. der Leipziger oder Frankfurter Buchmesse, die sich davon Reichweite versprechen und die Blogs ähnlich wie die Verlage als eine verlängerte Marketingabteilung betrachten.

2. Lesen wird durch Blogs in die comfort zone gedrängt. Bücher auf sepiatriefenden Instagram-Aufnahmen, mit einem duftenden Kaffee oder einem leckeren Stück Kuchen daneben, oder gleich dem Kuschelkissen mit Herzaufdruck – man muss nicht erst Kafkas Axt für das gefrorene Meer in uns bemühen, um festzustellen: Wenn Bücher lediglich als gemütliche Sonntagnachmittagsbeschäftigung verstanden werden, kann man sich die blumigen Besprechungen dazu auch gleich schenken.

Daraus folgt 3. Literaturblogger leiden unter Gefallsucht: Statt sich als Rezensenten ernst zu nehmen und souverän gegenüber ihrem Gegenstand zu verhalten, wird vertaggt und verlinkt, was das Zeug hält – damit der Verlag ja mitbekommt, was man Schönes über seine Neuerscheinung geschrieben hat. Schließlich muss ja auch Dankbarkeit für das kostenlose Rezensionsexemplar bezeugt werden! Darüberhinaus liegt hier ein grundlegendes Missverständnis vor: Den Beitrag an die Reichweite des Verlags zurückspielen statt eigene Reichweite zu nutzen oder überhaupt erst aufzubauen, stellt die klassische Funktion des Mediums auf den Kopf.

Einsprüche? Widerreden? Discuss!

37 Kommentare zu „Literaturblogs are broken

  1. Alles was zu schreibst trifft zu. Allerdings auch das Gegenteil. Ich kann es so machen, wie von dir beschrieben, kann es allerdings genau so gut lassen. Das ist die Unabhängigkeit die ich als Blogger habe. Die kann ich nutzen oder es bleiben lassen. Ich mache es schließlich freiwillig, meist ohne finanzielle Interessen und ohne irgendwelchen Redaktionsrichtlinien, Chefredakteuren oder Sponsoren gerecht zu werden.

    1. Ich kann da meinem Vorredner nur absolut zustimmen! Es werden hier auch für mich sehr wichtige Punkte angesprochen.

      Bespricht man Rezensionsexemplare so ehrlich wie selbst gekaufte Bücher? Wird man als Literaturblogger ernst genommen? WILL man als Literaturblogger denn überhaupt ernst genommen werden? Und wenn ja, von wem?

      Auch ich kann manchmal nicht anders, als ein Buch vor blumigem Hintergrund auf Instagram zu posten. Tue ich das für den Verlag? Nein. Tue ich das für meine LeserInnen. Jap. Aber vor allem tue ich das, weil Literatur unter die Leute gehört. Und das muss nicht immer Kafka oder Schnitzler sein. Auch wenn ich immer mal wieder mit dem größten Vergnügen französische Klassiker oder Novellen aus der Wiener Moderne lese und rezensiere, heißt das nicht, dass ich mich, wenn ich ab und an auf die „comfort zone“-Schiene aufspringe, mich und meinen „Auftrag“ als Literaturbloggerin nicht (mehr) ernst nehme. Zu der Vergabe und Annahme von Rezensionsexemplaren wurde und wird viel gesagt: Ich für meinen Teil nehme keine mehr an, aus mehreren Gründen: Ich will als literaturliebender Mensch den lokalen Buchhandel unterstützen, selbst bestimmen, wann ich was lese und mir genau solche „Vorwürfe“ wie du sie formulierst, nicht unterstellen lassen. Generell denke ich, dass wir LiteraturbloggerInnen sehr viel dazu beitragen, den Leuten Literatur schmackhaft zu machen. Zwar wird in der Bloggosphäre nicht alles richtig gemacht – sogar vermutlich vieles falsch: aber der Artikel ist mir dann doch zu verallgemeinernd formuliert, und wird dem Treiben in der Literaturbloggerszene nicht gerecht.

  2. Ich fand die Blogger-Aktion zur Leipziger Buchmesse total daneben und war dann umso erstaunter wie viele bereitswillig das Spielchen mitgespielt haben und es auch noch als eine Art „Ehre“ begriffen haben. Wenn es offenbar so viele Leute gibt, die sich ohne Bezahlung vor den Marketing-Karren spannen lassen, kann es nicht verwundern, dass man in der Kulturbranche kein Geld mehr verdienen kann.
    Was ich aber nicht bezeugen kann, ist die von dir attestierte „Gefallsucht“. Wenn es die gibt, betrifft sie auch die etablierte Literaturkritik, die kaum noch klar Stellung bezieht. Ich hab jedenfalls auch schon recht kritische Rezensionen auf Litblogs gelesen. Allerdings sind sie die Ausnahme. Kommt aber auch immer auch den Stil bzw. die Herangehensweise des Rezensenten an.

  3. Literaturblogs als Gratis-Werbetexter großer Verlagshäuser … da ist schon etwas dran. Bezeichnenderweise findet man in Literaturblogs erstaunlich wenig Verrisse.

    Dennoch, insbesondere kleinere und Kleinstverlage bekommen durch Literaturblogs eine wertvolle Aufmerksamkeit, die jeder Kleinverlag gut gebrauchen kann.

    1. Die geringe Zahl der Verrisse erklärt sich aber auch dadurch, dass die Blogger Bücher lesen und rezensieren, von denen sie sich etwas versprechen, etwa angenehme Lektüre. Wer will schon ein ganzes Buch durchackern, nur um einen Verriss zu schreiben?

      Wenn sie erfahren genug sind, bleiben somit auch Enttäuschungen wenn nicht die Ausnahme, so doch spärlicher gestreut als positive Rezensionen.

      Ich bin in erster Linie Filmblogger (rezensiere ab und zu ein Buch) und suche mir aus der Masse der neuen Filme nahezu ausschließlich Veröffentlichungen, von denen ich hoffe, sie positiv bewerten zu können (das kann auch ein Trashfilm im Rahmen seiner Grenzen sein). Bei kleinen Produktionen im Genrebereich ist das vorab nicht immer einzuschätzen, im Zweifel gibt’s mal einen Verriss. Damit können die mich meist gut bemusternden Agenturen leben.

      Bei Buchrezensionen bin ich sorgfältiger in der Auswahl (https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/sonstiges/) und hab daher noch keinen Verriss zu Buche stehen. Eine kritische Rezension ist allerdings in der Pipeline und kommt demnächst.

      Gegenüber der Mode-Blogosphäre sind Literaturblogger vermutlich Waisenknaben, was Gefälligkeitstexte angeht.

      1. Genau so ist es. Es gibt so viele tolle Bücher, ich werde doch nicht freiwillig meine Lesezeit mit solchen verschwenden, bei denen ich schon ahne, dass sie mir nicht gefallen. Außerdem macht es mir Spaß, anderen Bücher ans Herz zu legen, die mir gefallen. Ich sehe es nicht als Aufgabe, andere vor „den falschen“ Büchern zu bewahren.

  4. Stimmt! Oder: Stimmt auch nicht!. Die Buchblogs gibt es nicht. Genauso, wie es die Zeitungen nicht gibt. Oder könntest/würdest Du die Literazurkritik der BILD und die der FAZ in nur einem Satz gemeinsam beurteilen? lg_jochen

  5. Ich mag diesen Behauptungen so nicht zustimmen, aber es ist auf keinen Fall verkehrt, sie aufzustellen und drüber zu reden, weil es den Bloggern hilft, ihre eigenen Ansprüche zu hinterfragen. Diese Ansprüche sind natürlich völlig verschieden und werden es auch bleiben. Meiner Ansicht nach hat jedes Blog seine Berechtigung, ob es nun um tiefe literaturwissenschaftliche Kritik geht, oder nur darum, das Buchcover mit Klappentext und einer warmen Tasse Kaffee abzubilden. Wenn beides sein Publikum findet und die Lesekultur fördert, kann ich sehr gut damit leben. Als Blogleser habe ich ja die Möglichkeit, mir jene Seiten herauszusuchen und zu abonnieren, nach denen ich verlange: kritische, intellektuelle oder eben kurzweilige, die sich eher unkritisch am Massenmarkt oder speziellen Lesergruppen orientieren. Schlimm wäre es, wenn alle Buch- und Literaturblogger sich so entwickeln würden, wie oben vorgeworfen. Aber, tut mir leid, das sehe ich nicht.

    Ich kann auch die Kritik an der Bloggeraktion der Leipziger Buchmesse vom Grundsatz her nicht nachvollziehen. Wenn es nur so ablaufen würde, dann ja. Aber ich bin seit 2003 als Literaturblogger auf den Buchmessen unterwegs, und da gab es für meine/unsere Gattung viele Jahre lang null Aufmerksamkeit, null Angebote, null Plattformen und damit keinerlei Spielflächen, auf denen Buchblogger sich und ihre Projekte entwickeln können. Insofern betrachte ich die Aktion der Leipziger Buchmesse als einen wertvollen Anfang, der natürlich kritisch hinterfragt werden muss (was hier und andernorts geschieht), letztlich aber von allen Seiten konstruktiv genutzt werden sollte, die Sache beim nächsten Mal besser zu machen. Ohne solche Angebote und das zunehmende Interesse der Verlage würden wir diese wichtigen Diskussionen hier doch gar nicht führen.

  6. Stimmt und stimmt nicht. Meine meist positiven Besprechungen resultieren aus dem Umstand, dass ich a) die Bücher selber gekauft oder angefragt habe, b) mir einfach gute und passende Bücher angeboten wurden und c) es deutlich mehr Spaß macht, Bücher zu empfehlen und meine Begeisterung oder Einschätzung dazu in die Welt hinaus zu tragen. Nach kritischen Rezensionen oder Verrissen wird zwar immer laut geschrieen – aber ganz ehrlich und aus eigener Erfahrung: auf keinen Artikel bekomme ich so wenig Resonanz wie auf eine negative Besprechung.

  7. Das Argument der Verallgemeinerung. es wurde bereits ausgesprochen. Ich tue das nicht. Verallgemeinerungen werden es immer sein. Sprache ist zu dürftig letztlich und die Zeit zu knapp bemessen, um alle und alles fassen zu können, ganz zu schweigen davon, dass sich im Anschluss kein Leser dafür finden dürfte.
    Mich regt es zum Nachdenken an PUNKT. Stimmt, was hier steht? Hier und da, aber natürlich nicht da und dort. So tue ich am besten, wenn ich es für mich selbst nutze.

    Denn bei allem wird unterschlagen, will mir scheinen, dass es nicht nur ums Lesen und Gelesen werden geht, sondern ebenso und vor allen Dingen, ums Schreiben. Und das bleibt noch immer eine erstmal sehr solitäre Angelegenheit. Sollte es sein.

    Freundlichst
    Ihr Herr Hund

  8. Ich stimme dir nicht zu.
    Du kritisierst, das Lesen würde durch die Blogs in die „comfort zone“ gedrängt. Für einen Großteil der Leser befindet es sich genau dort und die Blogs holen ihre Leser dort ab, wo sie stehen. Dass du andere Vorstellungen hast, ist ja vollkommen in Ordnung. Es ist viel Platz in diesem Internet, auch für die Kuschelblogs. Wie oben schon jemand sagte, es gibt die ZEIT und die Brigitte, es gibt Blogs für anspruchsvolle Literatur und für Trash und alles dazwischen. Und das finde ich vollkommen in Ordnung.
    Und ja, wir rezensieren de facto für den Verlag. Das wurde ja schon gefühlte tausend Male kritisiert und es gab ebenso viele Repliken. Wer völlig unabhängig bleiben möchte, der fordert eben keine Rezensionsexemplare mehr an, gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in Rezensionen durchaus Kritik äußern darf, ohne dass mir daraufhin keine Büpcher mehr zur Verfügung gestellt würden. Und wäre es bei einem Verlag anders – egal, es gibt eine Menge anderer Verlage. Und wenn ich ein Buch unbedingt lesen will, kaufe ich es mir einfach. Oder leihe es in der Bücherei. Ich fühle mich überhaupt nicht abhängig.
    Noch einmal ja, wenn ich ein Rezensionsexemplar von einem Verlag bekommen habe, verlinke ich auf seine Seite. Das ist zum einen ein Service an meine Leser, zum anderen finde ich es selbstverständlich. Das mache ich auch bei Büchern, die keine Rezensionsexemplare waren.
    Ich kann auch nicht erkennen, was so schlimm daran sein soll, wenn Blogger als Buchmessenblogger von der Messe berichten. Manche hätten sich das vielleicht sonst nicht leisten können. Sie treffen Autoren, die sie sonst nicht getroffen hätten. Sie haben Spaß. Ja, sie machen Werbung für die Buchmesse. Und damit für Bücher und das Lesen. Daran kann ich nicht Schlimmes finden. Win-win. Dass sich einiges verbessern ließen, okay, darüber kann man doch reden.

    Ich finde es extrem nervig, dass sich immerzu Blogger berufen fühlen, anderen Bloggern vorschreiben zu wollen, wie sie bloggen dürfen. Frei nach Pippi Langstrumpf: Ich mach mir mein Blog, wie es mir gefällt.

  9. Es gibt viele Blogs, die pappen den Klappentext in ihren Blog, bewerten das Cover und finden das Buch grundsätzlich „supidupitoll“. Wenn ich soetwas sehe, blutet mir das Herz. Und das liegt nicht nur an der meist flauschigen optischen Gestaltung des Blogs. Sondern daran, dass mir der Autor leid tut, dessen Buch so herzlos „rezensiert“ wird. Er hat sich Mühe gegeben, warum dann nicht auch der Blogger, der es „bespricht“.

  10. Ich versuch es kurz zu machen.
    Laut Punkt 1 fehlen auch Presse und Buchhandel die Distanz, da auch sie kostenlose Exemplare bekommen. Vermutlich mehr und schlimmer als Blogger. Dieses Argument ist also irrelevant. Sicher gibt es überall wohlwollende Bewertungen weil man mit einem Pressevertreter (egal ob Blogger oder Journalist). Ach die die Buchhändler werden sicher auch eher Bücher die sie gut finden weiter empfehlen, die sie vorab per kostenlosen Exemplar gelesen haben.
    Zudem kenne ich viele Blogger die auch schlecht bewerten, auch wenn sie das Buch vom Verlag bekommen haben, wenn es ihnen nicht gefallen hat. Viele Blogger nehmen auch kaum bzw. keine Exemplare an um nicht ständig mit diesem Vorurteil leben zu müssen.

    Zu Punkt 2. Sicher wird lesen in eine „comfort Zone“ gedrängt von uns. Es ist unsere FREIZEITBESCHÄFTIGUNG und wir wollen dabei entspannen, auch wenn wir darüber bloggen. Wir wollen lesen als Hobby vermitteln, zumindest die meisten von uns. Es geht nicht nur um „hochragende“ Literatur. Viele Menschen lesen um zu entspannen.

    Zum 3. Punkt. Das kann ich persönlich nicht unterschreiben. Es gibt viele Blogger die hauen auch mal richtig auf den Tisch, ohne Rücksicht. Klar gibt es viele „Blümchen-Glitzerstaub-Blogger“, man darf aber auch nicht vergessen wie alt diese oft sind und diese suchen sicher das eine oder andere Lob im Internet. Man sollte hier lieber mal hinterfragen warum das so ist.

    Ich frage mich ob der Autor hier überhaupt sich mit Buchblogs auskennt oder nicht eher sämtliche Vorurteile mal wieder genommen hat, gut geschüttelt und zu einem Beitrag verwurschtelt hat. Wir Buchblogger sind das so langsam leid.

  11. Ha, zwischen dem ersten und dem zweiten Lesen sind da ganz schön viele Kommentare dazugekommen, viele gute neue Gedanken. Neben all der schon gesagten Sachen wollte ich folgendes noch mit einbringen: Dein zweiter Punkt geht davon aus, dass Lesen normalerweise nicht in der Comfort Zone passiert. Abgesehen davon, dass wir uns auch darüber auslassen können, ob Lesen heutzutage überhaupt noch in einer Zone oder sonst wo passiert, ist doch wirklich die Frage, was lesen bedeutet und wo es stattfindet und ob das eindeutig beantwortet werden kann.

  12. Pingback: Lesen mit Links
  13. Totgeritten ist dieses Pferd mitnichten, sondern das Thema ist virulent wie eh und wie je. Insofern war es gut, daß es einmal wieder und zu passender Gelegenheit – man denke an den Text von Wolfram Schütte beim „Perlentaucher“ – aufgegriffen wird. Es geht hierbei nicht um den Untergang des Abendlandes, wie das manche in ihren Hochzüchtungsphantasien oder in der Verkennung der sachlichen Umstände herbeischreiben, sondern um bestimmte qualitative Aspekte, die nicht stimmen. Aber mit der Qualität ist es halt so eine Sache. Der eine hat, der andere nicht.

    Leider kann ich Dir in keinem der Punkte widersprechen. Es wäre aber noch vieles mehr hinzuzufügen, was in vielen der Literaturblogs nicht läuft. Angefangen bei der Seichtigkeit mancher Beiträge. Klar kann jeder schreiben, wie er oder sie mögen. Wer will im pluralen Singsang all die Stimmen verbieten? Niemand. Müßig und sinnlos zudem. Darum geht es nicht. Dennoch ist es nicht wirklich hilfreich, diese Pluralität als Argument anzuführen – zumindest dann nicht, wenn es auf den qualitativen Aspekt der Literaturkritik ankommen soll. Das Jeder-Blogger-nach-seiner-Façon ist in meinen Augen einer ausgesprochen repressiven Toleranz und einem Ressentiment geschuldet. Dabei geht es nicht um den Untergang des Abendlandes, sondern um konkret benennbare Aspekte und Probleme, die Du ganz richtig aufzählst. Es erinnert mich diese vermeintliche Toleranz an die schlimmsten Zeiten in den germanistischen Seminaren: So wenig Anspruch und Tiefgang wie möglich, am besten demokratisch für alle verständlich, und sobald es schwierig im Text wird und die Axt mal nicht das gefrorene Herz, sondern den zerfaserten, unterkomplexen Kopf sprengt und etwas mit Anspruch möchte, kommen mit schöner Regelmäßigkeit die Klagen. Literatur ist nicht Kuscheln und Herzschmelzen, sondern Können, Technik und ein wenig auch Phantasie, Geist, Esprit, Eingebung. Gleiches sollte von der Kritik dieser Literatur gelten. Eine gute Rezension macht Arbeit, sie setzt profundes Wissen voraus. Dieses vermisse ich bei den meisten Literaturblogs.

    Das Zuarbeiten mancher Blogger für Verlage oder die Indienstnahme für Buchmessen und anderes wird man irgendwie lösten können und eine gute Bloggerin, ein guter Blogger wird es schaffen, sich seine Unabhängigkeit zu bewahren. Aber hier beißt sich bereits die Katze in den Schwanz: Was ist ein guter Literaturblogger? Und so bleibt ein Problem bestehen, wie man es auch drehen, wenden und betrachten mag: Das der Qualität von Texten bzw. von Literaturkritiken. Die meisten Blogs und insbesondere deren Kommentarstränge sind einem wohlfeilen Schmusekurs geschuldet. Da herzt eine Seele die andere. Mir kommen manche Blogs mehr vor, wie ein Sammelbecken für pietistische Erbauungsleserinnen. Konstruktive Debatten, geschweige denn eine gute Polemik erlebe ich selten. Da sehe ich mir dann doch lieber die TDDL-Lesungen samt den Kritiken an. Es kommt selbst dort mehr herum als in den meisten Literaturblogs. Dort sitzen nämlich Profis, die ihr Handwerk verstehen.

    1. „Dort sitzen nämlich Profis, die ihr Handwerk verstehen.“ Ernsthaft? Das ist doch lediglich das Sammelbecken drei Meter weiter. Die Profis, die in ihrer Kritik anmerken, dass ein Text auf ihre Veranstaltung zugeschnitten sein könnte und die scharfsinnig bemerken, dass Frau Gomringer ja gar nicht dort eine Pause gemacht hat, wo in ihrem geschriebenen Text ein Punkt steht. Und wir reden hier ja auch nur von der Kritik derjenigen, die vorher ganz bewusst für dieses Ereignis ausgewählt werden.
      Und hier schließt sich der Kreis:
      „Literatur ist nicht Kuscheln und Herzschmelzen, sondern Können, Technik und ein wenig auch Phantasie, Geist, Esprit, Eingebung.“
      Das ist deine Definition von Literatur. Der Großteil der Literaturblogs aber, besonders jene, welche gefallsüchtig scheinen, hat eine ganz andere Definition, wahrscheinlich sogar auch einen ganz anderen Anspruch an das Lesen selbst. Und innerhalb dieser Definition spreche ich einigen davon mehr Seriosität zu, als den Profis in Klagenfurt.

  14. Ja, Blogger rezensieren für den Verlag. Na und? Bei „richtigen“ Journalisten ist das doch nicht anders. Auch die bekommen ALLE Bücher, die sie rezensieren, umsonst von den Verlagen zugeschickt. Schon immer. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ein einzelner Journalist einer überregionalen Tageszeitung wahrscheinlich 10mal so viele Bücher pro Woche bekommt wie ein Blogger.

  15. Ich bin Kinderbuch-Bloggerin für Kinder von 2-6 und wähle im Vorfeld sehr sorgfältig aus, welches Buch ich rezensiere, denn ich möchte meinen Lesern schöne Bücher empfehlen. Da viel Herzblut und Engagement und kaum Verdienstmöglichkeiten in meinem Blog stecken, habe ich wenig Lust, Bücher zu rezensieren, die schlecht sind. Wenn mir an einem Buch etwas nicht gefällt, sage ich das natürlich jeweils trotzdem. Solange man sich nicht vom Verlag bezahlen lässt, sondern – wie jeder Journalist – ein Rezensionsexemplar erhält, finde ich nichts Verwerfliches daran, hauptsächlich über Bücher zu bloggen, die man selbst gut findet. Aber das soll und muss jeder Blogger selbst wissen. Blöd ist es dann, wenn man seine Meinung kaufen lässt. Schlimm finde ich diese reißerischen Verallgemeinerungen, das ist – mit Verlaub – Bildzeitungsniveau oder soll – wie hier – eine gute Diskussion anheizen ;-).

  16. Ha, das ist ja hier eine Wildheit! Bin ich gar nicht gewohnt, mag ich aber gut leiden.
    zu 1) Kein Problem, dass Blogger Umsonstexemplare erhalten, schließlich arbeiten sie auch umsonst (geldlich betrachtet).
    Ich würde den Literaturbloggern grundsätzlich unterstellen, dass sie nicht mit Schielblick auf Verlage schreiben, sondern dass sie sich nach dem Lesepublikum ausrichten (und zuerst nach ihrem eigenen Geschmack); lobenswert ist es aber, wenn ein Blogger nicht so sehr ans Publikum denkt, sondern an das besprochene Buch. Dem Buch gerecht werden, halte ich für einen wichtigen Punkt. Hier liegt m. E. auch eine Schnittmenge zur Literaturkritik. Es ist aber anzuerkennen, dass nicht alle auf irgendeine Weise mit Literatur befassten Blogs diesen literaturkritischen Anspruch haben. Sollen sie trotzdem leben dürfen? Ich meine, Ja.
    zu 2) Ich finde es nicht verwerflich, wenn ich mich mit Büchern befasse, deren Lektüre mich in keine Krise stürzt (oder die mich, gemäßigter ausgedrückt, nicht fordern) – aber reizen tut es mich auch nicht.
    Die photographische Inszenierung ist sehr bissig beschrieben … Eine Stilfrage: kann man machen.
    zu 3) Feedback möchte ich wohl auch haben. Wenn das Gefallsucht ist … okay! Aber die meisten Hits, Shares und Kommentare hatte mein Blog (der übrigens kein Literaturblog ist, oder nur insofern, als ich ein Literaturfreund bin), als ich einmal sehr ironisch über den Open Mike schrieb. Vielleicht sollte ich öfter einmal – spielerisch – zubeißen?!
    Eine eigene Reichweite aufbauen funktioniert in der Bloggosphäre doch nur über Liken, glaube ich, oder über wechselseitiges Kommentieren …
    Mein Fazit: Dies alles ist ein Sturm im Wasserglas. Alle Blogger, ob hofiert oder nicht, sind zusammengenommen ein Nichts. Eine andere Basis als Machtlosigkeit würde ich mir auch gar nicht wünschen. Wer unsichtbar bleibt, wird auch in Ruhe gelassen und kann in Ruhe machen. Der, für den eine Information bestimmt ist, wird sie erhalten, ganz ohne Tags.

  17. Hat dies auf mosaik rebloggt und kommentierte:
    Fehlende Distanz und „Gefallsucht“ – Probleme vieler Literaturblogs?
    Auf jeden Fall wichtige Fragen, die sich jeder Blogger stellen muss.

  18. Das das allgemeine Niveau der Literatur sinkt — ist die konstante Aussage jeder Gegenwart. Zu fast jedem Zeitpunkt folgt der Analyse des „Jetzt“, als Resultat, die sentimentale Ansicht zu bestätigen:
    dass es „früher besser war“.

    Was, allein in der Formulierungsweise, nicht mehr, als eine rein subjektive Bewertung sein kann — eine weitere Verschubladung.

    Neue literarische Ausdrucksmöglichkeiten und Plattformen bringen Veränderungen mit sich, die nicht nur latent unbequem, und als neue „Unbekannte“, unterbewusst zunächst fast immer ein Gefühl der Fremdheit — und daher meist Ablehnung erzeugen, sondern sich vor allem, nicht zuletzt aufgrund der gesteigerten Geschwindigkeit an Verbreitungs- und Wandelbarkeit, auch jeglicher voraussehbarer Kontrolle entziehen (nach den bisher bekannten und durch viel Aufwand erlernten Parameter).

    Unvorhersehbare Bewegungen, Amputationen und Zuwachs, der sowohl Chancen als auch Gefahren in sich birgt.
    Zu Tode langweilige und abgeschmackte „Wohlfühl- & Kuschle- Literatur“ sind keineswegs neue Erscheinungen — und dem generellen Verständnis unserer Kommunikation, Sprache und deren funktionale, als auch wirtschaftliche Umgangsweise damit, zuzuschreiben. Eher deren Aufweichung, Simplifikation und dem zusätzliche immer wichtiger erscheinenden Wunsch und Bedürfniss nach Bestätigung, durch anonyme oder kaum aussagekräftige oder gehaltvolle: „likes“, +, „friend“ etc.

    Die erhöhte Frequenz an Bildern, Texten, Lauten — äußere Signale im Allgemeinen und insbesondere die flächendeckend Werbung, die tiefen-psychologisch manipulativ fixiert ist auf ebenfalls zunehmend plurale Interessen — die uns kognitiv, in dieser Umbruchsphase, ganz sicher in Vielerlei Hinsicht überfordern und kraftlos machen — sollten uns jedoch nicht verzweifeln lassen.
    Sondern und zu ungewöhnlichem Denken und mehr Kreativität herausfordern.

    So wie die meisten Individuen ihren persönlichen Erfahrungsradius, ja sogar ihr Leben und Geistigen Konsum, wie auch Output, einem immer größer, komplexer und enger werdendem Netzwerk zu Verfügung stellen und auch dessen Nutzen abschöpfen,
    ist das tatsächliche und vorausreichende Ergebnis — oder besser: dessen Entwicklungen, für die Zukunft und unsere Betrachtungsweise der Vergangenheit,
    variabel, und stehet der Gestaltung zur Verfügung, wie auch offen, für diejenigen, die bereits sind Verantwortung zu tragen und Aufwand zu betreiben; sich einfach trauen unbequem zu sein — weil es so sein soll.

    Das es Blogs gibt, und immer mehr davon — will ich damit sagen, ist vielleicht nicht unbedingt der Ausschlag gebende Punkt, für den „gefühlten“ Mangel an hochwertiger und kritischer Literatur. Und unter Umständen gerade dessen einzige Chance und Möglichkeit zur Unabhängigkeit, von Verlegen, Zeitungen etc.
    Eine neue Kultur, mit neuen Regeln, die es, was dieser Artikel ja bewirkt, zu hinterfragen und vor Allem selbstbewusst mit zu formen gilt.

    Ich persönlich bin absolut kein Fan von Social-Media — und deren degenerative Sicht und Ausdrucksweise (meine Ansicht). Zum Beispiel denke ich da an Smilies, die beinahe schon notwendig erscheinen um den emotionalen Gehalt einer Aussage zu bestücken. Was mir, als jemanden, der sich tagtäglich mit Sprache und sprachlichen Konstruktionen auseinander setzt, gruselt und Grund zur Besorgnis aufrüttelt.

    Ermöglichen sie mir jedoch zugleich, einem ungeahnt und auf herkömmlichen Wege wohl unerreicht gebliebenen Publikum, mit meinen Texten zu konfrontieren. Selbst wenn hinter unzähligen Klicks, nur wenige einen in Gänze lesen. Ein paar gibt es immer, die es tun, und hier Gefallen und Freude finden. Die, wie ich selber denke, den Aufwand wert sind — und ich dankbar, auch immer wieder Interessantes von vielen klugen und innovativen Köpfen, im Netzt vorfinde. lebst zwischen den Kurzen Gmail/Youtube/Pornsite Intervallen.

    Die Chance, eindeutig und klar zu sein, liegt sowohl in der Sprache, als auch in uns selber. Und dessen Mangel, nicht ausschließlich in dessen Form.

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