
Eine Plattform, ein Netzwerk, ein Archiv, und im Mittelpunkt die Übersetzung von Texten: Das ist die Edition Bahia. Im Interview stellen sich Clara Sondermann, Karl Clemens Kübler und Peter Wolff aus dem Gründerteam vor.
Was ist euer Wunsch für die Edition Bahia?
Karl Clemens: Unser Projekt ist ein Webportal, auf dem Übersetzer übersetzte Texte auf Deutsch vorstellen können, um neuen Autoren aus der ganzen Welt im deutschsprachigen Raum ein zentrales Medium zu geben und ihre Texte bekannt zu machen. Bahia ist eine Website, die zum Lesen einlädt. Auszüge aus Romanen, kurze Formen und Essays sollen kurz von den Übersetzern vorgestellt und sozusagen als Promotion für den oder die noch unbekannte AutorIn zugänglich gemacht werden. So sollen interessierte Leser, Übersetzer, Autoren und im besten Fall Verlage an einem schönen Ort im Internet zusammengebracht werden. Bahia soll einen Raum schaffen, in dem Übersetzung als eigene Kunstform wahrgenommen wird.
Das heißt, es gibt so einen Raum bisher noch nicht?
Clara: Es gibt so viele Übersetzungen, die nicht gesehen werden. An denen lange gearbeitet wurde, mitunter auch im Rahmen von Werkstätten. Es ist nicht leicht, diese Texte als noch nicht etablierte Übersetzerin an Verlage zu vermitteln. Programme vom Deutschen Übersetzerfonds helfen dabei sehr. Dennoch ist es so: Wenn das so genannte „Alleinstellungsmerkmal“ eines Textes in einer Mail an die von Einsendungen überfluteten Lektorinnen nicht binnen weniger Minuten ausgemacht werden kann ist, besteht das Risiko, dass etwas Gutes in der Versenkung verschwindet. Ich möchte weder jammern noch verallgemeinern; ganz im Gegenteil habe ich gleich viel Verständnis für beide Seiten und könnte viele Gegenbeispiele anführen. Doch warum nicht einen dritten Raum schaffen, der dieser Marktspannung nicht ausgetzt ist. Es gibt sehr viel zwischen Suhrkamp-Übersetzerin ohne Nebenjobs und dem Übersetzer, der ein halbes Jahr lang ein erstes Gedicht übersetzt (und auch von den beiden möchten wir natürlich Einsendungen!).
Natürlich sind wir uns auch der Tatsache bewusst, dem unterbezahlten Übersetzen von Literatur damit nichts entgegensetzen zu können. Es ist natürlich prekär, doch wenn schon so viel Arbeit in einer Übersetzung steckt, die meist auch nicht bezahlt wurde, verdienen Text und Übersetzer doch Sichtbarkeit mit der Aussicht, am Ende von den richtigen Menschen gefunden zu werden.
Es gibt bei Bahia auch einen festen Bildteil. Wie fügt sich dieser in die Idee ein?
Peter: Was ich generell mit den Fotobeiträgen erreichen will, ist derselbe Austausch. Da man als Fotograf natürlich keinen Übersetzer braucht, könnte die Übersetzung darin liegen, dass der Fotograf nicht in seinem Umfeld ist, sondern im Ausland. Kristin ist ja z.B. Deutsche und fotografiert in Rio.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Ganze im Internet stattfinden zu lassen?
Karl Clemens: Peter Wolff und ich hatten vor längerem die Idee, gemeinsam eine Publikation zu machen. Er ist Fotograf und ich mache so Sachen mit Text. Irgendwann kamen wir darauf, dass es eigentlich schon genug Magazine gibt, die schön aussehen und auch irgendwie gute Texte bieten. Seit 2015 etwa beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Übersetzung und wollte dem seither eigenes Gewicht geben. Zu uns stießen dann Clara und Alex und wir kamen übereins, dass wir unseren Raum lieber im Internet aufbauen wollen.
Clara: Ich finde, es kann nicht genug schöne Magazine geben. Aber dass Bahia eine Website ist, macht es einfacher, mehr Beiträge zusammenzubringen. Und uns interessiert natürlich auch, was andere machen! Bei Treffen von Übersetzern kriegt man das schon mit, aber das ist uns zu wenig. Wir möchten mitbekommen können, woran die anderen arbeiten.
Gibt es schon ähnliche Projekte in anderen Ländern, plant ihr Kooperationen?
Karl Clemens: So weit sind wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber wir sind in jedem Fall offen für Kooperation.
Auf bahiabahia.de ist am 22. Juli das erste Material online gegangen: Eine Übersetzung von Max Czollek, der Gedichte von Adi Keissar aus dem Hebräischen übertragen hat, ein Fotobeitrag aus Rio de Janeiro von Kristin Bethge sowie die Dokumentation eines Übersetzungsprozesses zwischen Elisabeth Bauer und Nikita Safonov.
Was die Wolke dichtet
„Es wird wehtun“; „es wird nicht ganz zu kontrollieren sein“: Eingangs Warnungen, wie sich selbst zugesprochen, wussten doch weder Andreas Bülhoff, Martina Hefter, Georg Leß, Katharina Schultens noch Charlotte Warsen so ganz genau, worauf sie sich mit diesem Projekt einließen.
Das Ergebnis mehrerer Workshops, auf dem sich Coding, Poesie und Proben für eine Performance miteinander verschränkten, konnte am 22. November im Berliner Theaterdiscounter begutachtet werden: Dichter unter Hypnose, unter einem Moskitonetz aneinandergekuschelt, dazwischen großflächig Projektionen mit Tanzszenen und Rabenflug und wie zufällig herumliegende Auberginen.
Nun steht – unter Einbeziehung der Performance im Theaterdiscounter und Beteiligung des anwesenden Publikums (so konnten etwa Audiosamples live vor Ort eingesprochen und Chats geführt werden) eine erste Version von Cloudpoesie – Dichtung für die vernetzte Gesellschaft als hybrides E-Book bereit, das gemeinsam vom KOOK-Verein und dem Digitalverlag mikrotext herausgegeben wird.
Animation: Andreas Töpfer
Und das ist eine echte Augen- und Ohrenweide. Wunderbar verspielte Kurzgedichte („protagon, verzeih“), repetitive experimentelle Textmassen wechseln sich ab mit gewitzten GIF-Animationen aus der digitalen Feder Andreas Töpfers; im Zentrum des Ganzen ein Musical mit Ungeheuern, in dem Gartenroboter Gesänge zu der Frage anstimmen, „warum das Ungeheuer sie schlägt“ – ein derart lustvoller kreativer Overkill kann einem schon einmal die Sprache rauben. Und das klingt dann so: „Wentkräff deren und warkellenener Loger und rene Pass oden A.M., nobote nichteräte anch satundere nach zu inforgume Gras weln sch zu hen S. Menachen von bren Icht den 9 unges kom”)“. Wer will, kann mit Audiosamples das Medium wechseln oder sich durch behutsam gesetzte Hyperlinks gleich wieder in das große Referenzsystem des Internets katapultieren lassen, wo etwa Diagramme zur Theorie des Uncanny Valley lauern. Die Textsorten changieren währenddessen fröhlich vom Kinderreim zur Spielanleitung mit Safeword und mittelalterlichen Rezeptanweisungen, die auf Plinius verweisen; eine Form, ein äußeres Raster scheint immer wieder durch (etwa begonnene Aufzählungen), um aber gleich darauf wieder lustvoll verworfen zu werden.
Ein hemmungsloser, anarchischer Spaß ist hier gelungen, der das Zeug hat, das Feld der Gegenwartslyrik um eine ganze Wagenladung neuer Impulse zu bereichern. Übrigens: Das E-Book war in seiner ersten Version, soviel Geheimniskrämerei muss sein, nur am Abend der Performance erhältlich. Eine bearbeitete Version soll aber in Kürze auf einschlägigem Wege erhältlich sein.
Ein Spaziergang durch den Zoo

Zur Entdeckung der Lyrik für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015: Ein Gastkommentar von Christoph Szalay.
Gestern wurden die diesjährigen Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 bekanntgegeben. Darunter befindet sich mit Jan Wagner zum ersten Mal seit dem mittlerweile zehnjährigen Bestehen des mit insgesamt 60.000 Euro dotierten Preises (für die drei Kategorien Belletristik, Sachuch/Essayistik und Übersetzung) ein Lyriker. Der erste Lyrikband auf der Shortlist nach zehn Jahren. Darüber ließe sich bereits vieles sagen. Zunächst vor allem bzw. jedoch, dass das ein Tatbestand ist, der freut. Dass es scheinbar doch möglich ist, sich der Maxime folgend, jedes einzelne Wort, jeden einzelnen Satz geltend zu machen, für einen solchen Preis zu empfehlen. Das ist jedoch auch bereits der Punkt, an dem die Freude aufhört.
„Ein Lyriker für den Buchpreis – warum nicht!?“, so in etwa ließe sich Richard Kämmerlings Kommentar zu Wagners Nominierung in der WELT tradieren. Ja, warum nicht? Warum nicht mehr davon und warum nicht selbstverständlich und warum braucht es den Hinweis auf eine Überraschung, „sicher die größte (Überraschung) – und doch vollkommen plausibel.“ Plausibel vielleicht, weil sich das, was sich in den „letzten zehn, fünfzehn Jahren in Deutschland getan hat, endlich einmal eine Würdigung auf großer Bühne“ verdient hat, vielleicht aber auch, weil „die richtig großen Namen in der Belletristik fehlen.“
Literatur ist ein Markt, wie jeder andere auch, das ist eine alte Geschichte, ebenso die Tatsache, dass er auch denselben Mechanismen, zu dem auch Preise, wie jener der Leipziger Buchmesse zählen, folgt. Die Tatsache, dass es zehn Jahre gedauert hat, einen Gedichtband auf die Shortlist zu setzen, unterstreicht nur einmal mehr, wie dieser Markt denkt. Prämiert wird, was lesbar, was zeigbar, was verkraftbar ist. Für Lyrik scheint all das nach wie vor nicht zu gelten. Passierte es nun aber doch, schickte sie sich nun doch einmal an, auf die Shortlist zu kommen, die Lyrik, so müsse sie „gleichermaßen form- und traditionsbewusst und in unverwechselbar-originellem Stil“ sein. Der Raum also, innerhalb dessen sich Lyrik bewegen kann und darf, sollte sie auf die große Bühne gehievt werden, ist demnach ebenso vorgegeben, wie die allgemeine Meinung, dass sie dort eigentlich nicht wirklich hingehört. Literatur also als Domestizierung, als Exotismus, als feiner und netter nachmittäglicher Spaziergang durch den Zoo.
Einen Gedichtband auf die Shortlist eines der wichtigsten deutschsprachigen Preise zu setzen, zeugt also weder von Mut, noch von Weitsicht noch von sonst etwas anderem, sondern schlicht und einfach von der Arroganz, sich, wie in diesem Fall, seit einem Jahrzehnt nicht mit dem, was zeitgenössische deutschsprachige Lyrik kann und macht und ist, auseinanderzusetzen.
Christoph Szalay wurde 1987 in Graz geboren. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband Asbury Park, NJ im Luftschacht Verlag.